Die Geschichte der Emilie Pelzel 1907 bis 2001

Das fünfte Kind von Franz Martin Pelzel und Maria Franziska Schindler, Wenzel Prokop, wurde am 27. November 1785 in Prag geboren.

Prag

Im Alter von 24 Jahren, am 9. Jänner 1810, heiratete er in Brandys nad Orlici, Maria Grüner, seine erste Frau, mit der er drei Kinder hatte, Katharina, Franz und Johanna. Leider starb seine Frau am 7. Juli 1820 im Alter von 33 Jahren im Kindbett. Wenzel stand jetzt mit drei kleinen Kindern da und musste dringend für eine neue Partnerin Sorgen.

Bereits am 23. März 1820 heiratete er die 18-jährige Johanna Hauptmann in Zasmuky in Böhmen. Am 8. November 1822 bekam sie ihr erstes Kind, den Sohn Ludwig, am 4. Jänner 1824 kam Sohn Carl Victor Franz (mein Urgroßvater) zur Welt, 1825 Franziska.

Zasmuky

Mit 6 Kindern wurde das Haus in Zasmuky zu klein und die Familie übersiedelte im Jahre 1826 etwa 100 Kilometer nach Osten, in die Stadt Reichenau, wahrscheinlich in das Geburtshaus von Franz Martin Pelzel, seinem Vater. Dort wuchs die Kinderschar 1827 mit Sophia, 1831 Rosina, 1835 Wenzel und schließlich, am 22. Juni 1837 mit dem letzte Kind, Sohn Josef Johann.

Geburtshaus von Franz Martin Pelzel, dem Ururgroßvater von Emilie

Über das Leben des Josef Johann Pelzel ist mir nicht viel bekannt. Er heiratete im Alter von 36 Jahren, am 11. Dezember 1873 die 24-Jährige Luise Knauer. Die Familie zog nach Teplitz-Schönau. Mit Luise hatte Josef Johann drei Kinder: 1874 den Sohn Bernhard, der nur 8 Jahre alt wurde, die Tochter Stephanie, geboren am 11. Dezember 1880 und Josef, der am 11. Februar 1886 in Teplitz-Schönau zur Welt kam.

Teplitz-Schönau

Von Josef Pelzel ist bekannt, dass er sich bereits im Alter von 19 Jahren mit Maria Heppich verheiratete und in Alt-Moletein in Mähren als wohlhabender Gutsbesitzer lebte. Mit Maria hatte er drei Kinder: Franz, geboren 1902, Emilie, geboren am 22. Oktober 1907 und Felizitas, geboren am 15. Juli 1922 .

Emilie erzählt: Geboren wurde ich am 22. Oktober 1907 im Zeichen der Waage in Alt Moletein, einer Stadt in der Grafschaft Hohenstadt in Böhmen. Meine Familie war seit dem 13. Jahrhundert in der Gegend ansässig. Damals gehörte Böhmen zum Deutschen Reich, und Ottokar II bestieg den Thron, der bedeutendste Repräsentant der premyslidischen Dynastie. Soviel ich weiß, kamen meine Vorfahren als Siedler nach Mähren. Die Geschichte meiner Familie stand in einem Stammbuch, das – wie viele andere wertvolle Dinge in den Wirren des Krieges – auf unserer Flucht aus Brünnlitz verlorenging.

Alt Moletein

Unser Wohnhaus war im vorigen Jahrhundert umgebaut worden, wobei es sich eigentlich um ein uraltes, von den Schweden errichtetes Gebäude handelte, die unsere Gegend Anfang des siebzehnten Jahrhunderts besetzt hatten. Wir Pelzels waren nicht viele: Da waren meine Eltern, mein Bruder Frank und meine Großeltern väterlicherseits, die auf unserem ausgedehnten Gutshof ein eigenes Haus bewohnten. Unser Haus war geräumig und so gemütlich wie alle Bauernhäuser. Meine Eltern arbeiteten hart und hatten es zu etwas gebracht. Wir bauten hauptsächlich Flachs, Weizen und Roggen an, und in unserem herrlichen Garten standen viele Obstbäume und prachtvolle Blumen, die der ganze Stolz meines Vaters waren.

Emilie mit Mandoline, Alt Moletein, 1926

Auf dem Gut in Alt Moletein hielten wir auch Tiere: Hühner, Pferde, Kühe, Ziegen, Gänse, Enten und natürlich Hunde und Katzen. Als Dreijährige begleitete ich meine Eltern bereits aufs Feld hinaus, in eine Landschaft, die ich mein Leben lang leidenschaftlich liebte. Wenn eine Szene aus dem Landleben gezeigt wird, bleibe ich sogar heute noch hingerissen vor dem Fernseher sitzen. Bei einem jener Ausflüge habe ich mir einmal ein Pferd von unten angesehen. Als mein Vater eines Morgens seine beiden Pferde vor den Pflug gespannt hatte, schaffte ich es, blitzschnell unter eines der beiden Tiere zu kriechen, ohne daß es jemand bemerkte. Dann pfiff mein Vater, und das Pferd setzte sich sogleich in Bewegung, blieb aber stehen, als es mich unter sich spürte, wieherte energisch und bockte. Das Pferd wollte mich nicht verletzen. Ich fühlte mich sicher, wo ich war, und betrachtete den goldbraunen Bauch und die kräftigen Beine, bis mich mein Vater – über meine unersättliche Neugier schimpfend – darunter hervorzog. Meine Beziehung zu Pferden, diesen fabelhaften, herrlichen, hochsensiblen Kreaturen, wurde von da an noch inniger. Sie waren meine Freunde und gehörten zu einer Umgebung, in der ich mich geborgen fühlte. Seit ich die Natur für mich entdeckt hatte, stand ich in so engem Kontakt zu allem, was lebte, atmete und sich erneuerte, daß ich Puppen und jedes andere Spielzeug links liegen ließ. Ich mochte Tiere und Pflanzen viel lieber, überhaupt alles, was lebendig und in Bewegung war, und ganz besonders meine Freunde, die Pferde.

Emilies Vater Josef wurde 1914 zum Kriegsdienst eingezogen. Als er gegen Ende des 1. Weltkriegs zurückkehrte, war er schwer krank, mit Malaria und einem Herzleiden konnte er nicht mehr am Feld arbeiten und verfiel immer mehr in Schweigsamkeit.

Emilie Pelzel war das zweite Kind von Josef und Maria Pelzel. In Brünn besuchte sie verschiedene Schulen, darunter auch eine Landwirtschaftsschule.

Emilie: Als ich vierzehn wurde, schickten meine Eltern mich in ein Kloster, in dem ich annähernd ein Jahr verbrachte. Die Nonnen waren nicht gerade sehr sympathisch, und das Essen, das sie kochten, war unsäglich. Selbst nach so vielen Jahren ist mir der Geruch nach verbranntem Kaffee, der das Kloster bis in den letzten Winkel erfüllte, noch ebenso gut in Erinnerung wie das Unbehagen darüber, daß ich mich mit den Schwestern überhaupt nicht verstand. Der Grund war nicht, daß dort tschechisch gesprochen wurde. Das war zwar nicht meine Muttersprache, doch verstand ich es genauso gut. Für die Nonnen hinter ihren Klostermauern war meine gelegentliche Auflehnung unbegreiflich, die allerdings für eine Jugendliche ganz natürlich war, vor allem wenn sie bis dahin an der frischen Luft und frei und ungebunden aufgewachsen war. Das Klosterleben war eine pausenlose Qual: immer nur beten und Dinge lernen, die nicht den geringsten praktischen Nutzen erkennen ließen.

Kloster Hradisko

Ein paar Jahre später wechselte ich auf eine Schule für Landwirtschaft über. Dort blieb ich drei Jahre, an die ich mich sehr gerne zurückerinnere, weil mich der Unterricht dort sehr interessierte. Außerdem schloß ich viele Freundschaften, unter anderem mit Rita Gross, einem jüdischen Mädchen, mit dem ich mich von Anfang an am besten verstand. »Wir beide haben nicht denselben Gott«, sagte Rita, als wir eines Nachmittags die Schule verließen. »Es gibt nur einen Gott für alle, egal ob Juden oder Christen«, antwortete ich. Rita schaute zu Boden und blieb lange still, während wir unseren Heimweg fortsetzten. Plötzlich hob sie den Kopf und sah mich mit ihren großen, grünen Augen an: »Und warum werden Juden dann behandelt, als wären sie weniger wert? Haben wir keine Seele, keine Gefühle, leiden und freuen wir uns nicht wie alle anderen? Warum werden wir beleidigt, warum werden unsere Sitten und Gebräuche verspottet und verhöhnt? Warum dürfen wir weder Haus noch Hof besitzen?« Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, nahm aber ihre Hand, als wir uns voneinander verabschiedeten, um ihr auf diese Weise zu verstehen zu geben, daß ich nicht so dachte und ihre Traurigkeit begriff. Ich mochte Rita wirklich gern, sie war meine beste Freundin. Unsere unterschiedliche Glaubenszugehörigkeit war nie ein Hindernis für unsere gegenseitige Zuneigung, und wir blieben bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Verbindung. Rita wurde eines der vielen Opfer der Nazis. Der Kommandant der deutschen Truppen in Alt Moletein, der sie brutal ermordet hatte, wurde später von den Russen hingerichtet, als sollten wir glauben, daß die göttliche Gerechtigkeit sich irgendwann durchsetzt, auch wenn es so aussieht, als sei es zu spät.

Emilie Pelzel

Nicht lange nach ihrem 20. Geburtstag erschienen zwei Männer am heimatlichen Hof, um der Familie elektrisch betriebene Landmaschinen vorzustellen, es waren Vater und Sohn Schindler. Immer öfter besuchte der Sohn Oskar Schindler die Familie Pelzel, bis es eines Tages dazu kam:

Emilie erzählt: Anfangs wies ich ihn zurück, wollte nichts von ihm wissen, doch seine Besuche wurden, angeblich wegen der Generatoren, immer häufiger, bis ich mich nicht weiter sträuben konnte. Eines Tages dehnte er seinen Besuch auf dem Hof aus, bis der blaue Septembermond über den Pflaumenbäumen aufging, und gab mir den ersten Kuß. Obwohl ich Oskar nicht völlig vertraute, fegte die Leidenschaftlichkeit seines Kusses und seiner Umarmung alle Bedenken hinweg. Es verging einige Zeit, in der uns seine Mutter und seine Schwester besuchten, und dann bat er mich eines Abends um ein Gespräch mit meinen Eltern, denen er »etwas Wichtiges mitzuteilen habe.« Er nahm mich an der Hand, blickte mit seinen schönen, blauen Augen erst meinen Vater und dann meine Mutter an und sagte mit tiefer Stimme etwas, das ich nie vergessen werde, weil es sich später als ebenso aufrichtig wie unmöglich erweisen sollte: »Ich möchte mich mit Emilie verbinden, damit wir uns eine gemeinsame Zukunft aufbauen können.« Während Oskar noch um meine Hand anhielt, machte ich mich daran, meine Lage zu überdenken: mein kränkelnder, übellauniger Vater, meine inzwischen gebrechliche Großmutter und meine von Krankenpflege und Hausarbeit erschöpfte Mutter, der für ihre Kinder keine Zeit blieb, während mein Bruder sich schon von der Familie zu lösen begann. Angesichts dieser Aussichten klang Oskars Antrag fast unwiderstehlich.

Hochzeitsfoto in Zwittau, 1928

Das Ehepaar Schindler

Am 6. März 1928 heiratete sie den ein Jahr jüngeren Industriellen Oskar Schindler, mit dem sie ins Haus der Schwiegereltern nach Zwittau zog. Ihr Vater missbilligte die frühe Heirat seiner Tochter mit einem „unfertigen Mann“.

Emilie erzählt: Im Oktober des Jahres 1928 fuhr ich das erste Mal nach Prag, um Dokumente zu besorgen, die Oskar brauchte. Ich bewunderte alles: die Kirchtürme, die ihre Spitzen stolz in den blauen Himmel reckten, die Geschäfte, die belebten Straßen, die des Nachts hell erleuchtete Stadt mit den glitzernden Lichtern, die sich in den ruhigen Wassern der Moldau spiegelten. Trotzdem war mit Prag die romantische Epoche meines Lebens zu Ende. Fast unmerklich wurde von da an alles immer trauriger und düsterer. Mein Vater hatte Oskar meine Mitgift von hunderttausend tschechischen Kronen übergeben, eine mehr als beträchtliche Summe in der damaligen Zeit. Er kaufte sich von dem Geld ein luxuriöses Auto und verschleuderte den Rest, indem er ausging und das Geld verplemperte. Als ich ihm deshalb Vorwürfe machte, gab er zur Antwort: »Emilie, du bist zu enthaltsam, eine richtige Asketin. Ich dagegen bin schon als Epikureer auf die Welt gekommen.«

Emilie nach der Hochzeit 1928

Emilie erzählt: Oskar fuhr 1935 nach Krakau, wo er eine Frau kennenlernte, mit ihr ins Gespräch kam und sie sicherlich in irgendein Séparée entführte, wie es seine Gewohnheit war. Diese Frau arbeitete für die deutsche Abwehr und empfahl ihn ihren Vorgesetzten. Oskar gefiel seine neue Arbeit wirklich, die darin bestand, ausländische Spione in Polen zu enttarnen und zu verfolgen. Die polnische Sektion der deutschen Abwehr hatte Major von Kohrab unter sich, ein ungarischer Adliger mit einem gefährlichen Geheimnis: er war der Sohn einer Jüdin. Die Geheimhaltung gelang ihm ziemlich lange, bis ein Neffe – möglicherweise eher aus Dummheit, denn aus Bosheit – die jüdische Herkunft des Majors einer Formalität wegen verriet. Das kostete den Chef der polnischen Abwehr nicht nur Rang und Titel, er verschwand auch für alle Zeit von der Bildfläche, ohne daß je das Geringste über sein Schicksal bekannt wurde. Ich kann mich noch an ihn erinnern, blond und stattlich, eine elegante Erscheinung in Uniform: eine Figur, die trotz ihrer jüdischen Herkunft besser als viele andere – einschließlich des Führers – dem Rasse- und Schönheitsideal entsprach, dem die Nazis huldigten.

Durch die Weltwirtschaftskrise musste die Fabrik ihres Mannes geschlossen werden. 1936 zog das Ehepaar nach Mährisch-Ostrau, wo sie ihren Mann aktiv bei der Arbeit für die deutsche Spionageabwehr unterstützte.

Emilie erzählt: Eine unserer Aktivitäten bestand zum Beispiel darin, einen polnischen Soldaten dafür zu bezahlen, daß er uns eine Uniform seines Heeres beschaffte, die dann nach Deutschland geschickt und als Modell für die Tarnung der Spione des Dritten Reichs verwandt wurde. Bei der deutschen Invasion in Polen wurde solch eine Uniform von der SS getragen, als sie den Krakauer Sender überfiel, aber auch wenn sie die Absicht hatten, dem polnischen Widerstand Sabotageakte unterzuschieben. Eines Tages kam die Polizei und stellte unsere Wohnung auf den Kopf. Sie suchten Dokumente, die Oskar hinter dem Schlafzimmerspiegel aufbewahrte. Sie fanden sie schließlich und nahmen Oskar fest. Er war von einem tschechischen Agenten verraten worden, der sich zum Schein mit ihm angefreundet hatte. Oskar wurde für sein Vergehen zum Tode verurteilt. Die deutsche Invasion in die Tschechoslowakei im Jahre 1939 rettete ihm das Leben.

Emilie erzählt: Hitlers Aufstieg war der Beginn einer unbeschreiblichen Tragödie: Kristallnacht, Konzentrationslager, Nürnberger Gesetze mit dem Berufsverbot für Juden, Tod und Verderben für Millionen. Durch die Umstände waren Oskar und ich in gewisser Weise Komplizen des Geschehens. Auch wenn ich heute stolz bin, gemeinsam mit meinem Mann zur Rettung von eintausenddreihundert Juden beigetragen zu haben, bringt es mich zur Verzweiflung, wenn ich bedenke, wie wenige das im Vergleich zu der großen Anzahl sind, die der Grausamkeit der Nazis zum Opfer gefallen sind.

Rega Peller-Bankier und Abraham Bankier, die Besitzer der Emailfabrik in Krakau

Emilie erzählt: Am ersten September 1939 fiel Hitler in Polen ein. Die nationalen Truppen konnten den Widerstand gegen die gewaltige Überlegenheit der Wehrmacht nur acht Tage lang aufrechterhalten. Einen Monat später reiste Oskar nach Krakau, wo sich der Sitz des Generalgouvernements des Dritten Reichs in Polen befand, um die Befehle der Abwehr entgegenzunehmen. Ab November ließ er sich dort nieder. Ich besuchte ihn häufig, fast zweimal die Woche. Ich überließ meiner Hilfe Viktorka unseren Haushalt und nahm den Zug, der mich dem Verlauf der Weichsel folgend in den riesigen Bahnhof von Krakau, der Hauptstadt der Woiwodschaft, beförderte. Wenn ich aus dem Zug ausstieg, entdeckte ich jedesmal etwas anderes: die alten Mauern der Universität, die riesigen Fenster des Wawel, des gotischen Schlosses, in dem die deutsche Kommandantur die Geschicke der Polen lenkte. Nicht weit vom Bahnhof, in der Pomorkastraße, befand sich das Quartier der SS, das Gebäude, das die Krakauer am meisten fürchteten. Diese Stadt erlebte trotz der Invasionen im Laufe ihrer langen Geschichte eine Schreckensherrschaft wie nie zuvor. Oskar intensivierte seine Beziehungen zu den hohen Chargen der Nazis und bekam bald darauf das Angebot, eine Emailwarenfabrik zu übernehmen, die einer Gruppe jüdischer Industrieller gehört hatte. Das Werk lag in der Lipowastraße und wurde nach der Übergabe Deutsche Emailwarenfabrik genannt, zumeist aber als DEF bezeichnet. Oskars einnehmendes Wesen erleichterte vieles, selbst in den schwierigsten Situationen. Sobald er den Mund aufmachte, zog er die gesamte Aufmerksamkeit auf sich und konnte mit seiner gewaltigen Eloquenz jeden überzeugen. Er wurde ein wichtiger Mann, weil er sich selbst für wichtig hielt. So war es ihm ein Leichtes, Verbindung mit den richtigen Leuten aufzunehmen, wenn die Umstände es erforderten. Ich hatte meine Befürchtungen und sagte ihm oft: »Oskar, du mußt vorsichtiger sein. Heutzutage muß man einfach auf der Hut sein.« Er sah mich an, als gäbe er etwas auf meine Worte, handelte jedoch weiterhin nach eigenem Gutdünken.

Im Oktober 1939 ging Oskar Schindler nach dem deutschen Überfall auf Polen, nach Krakau und gründete die Deutsche Emailwarenfabrik (DEF). Von Ostrau aus besuchte sie ihren Mann zweimal pro Woche, bis es ihr durch eine Erkrankung an der Wirbelsäule nicht mehr möglich war, diese beschwerliche Reise zu unternehmen.

Emilie und Oskar nach dem Erwerb der Emailfabrik 1942

Emilie erzählt: Das Werk war in miserablem Zustand, und fast alles war reparaturbedürftig. Oskar mußte sehr viel Geld hineinstecken, um es in Betrieb zu nehmen. Dabei konnte er sich auf seinen Buchhalter Isaac Stern und Bankier selbst verlassen, der ein Geschäftsmann erster Güte war.

Emilie erzählt: Die größte Schwierigkeit für den Start des Unternehmens bestand darin, von der SS die Erlaubnis zu bekommen, jüdische Arbeiter aus dem Krakauer Getto einzusetzen, was Bankiers Hauptbedingung für den Verkauf des Betriebs gewesen war. Nachdem die Genehmigung endlich erteilt war, wurden die Arbeiter nach Ausbildung, Gesundheitszustand und Alter ausgewählt. Nach Beendigung dieser Selektion brachte ein Transport die Gruppe nach Plaschow, in das Konzentrationslager auf dem ehemaligen Terrain des jüdischen Friedhofs nicht weit von Krakau. Die Entlohnung der Arbeiter war theoretisch die Aufgabe der SS. In Plaschow war jeder über vierzehn zur Arbeit verpflichtet. Jüngere wurden umgebracht oder zu medizinischen Versuchen benutzt. Viele Eltern sahen sich gezwungen, das Alter ihrer Kinder zu fälschen, um sie vor einem sicheren und grauenhaften Tod zu bewahren. Die jüdischen Frauen hatten Angst, schwanger zu werden.

Emilie erzählt: Auf der Rückfahrt von Krakau nach Mährisch-Ostrau gingen mir stets meine Differenzen mit Oskar und meine Bedenken gegenüber den Absichten der Nazis durch den Kopf; zu Hause aber stieß ich einerseits auf eine sorglos dreinblickende Viktorka, der an ihrer Umgebung anscheinend gar nichts auffiel, und andererseits auf die in meinen Augen höchst verdächtige Anwesenheit der beiden Wachtposten, die seit dem Einbruch bei uns einquartiert waren. Sobald die beiden Tschechen sich den Bauch vollgeschlagen hatten, lagen sie im Tiefschlaf in den Sesseln im Wohnzimmer, als ginge es in Wahrheit um ihr Wohlergehen, und nicht um unseres.

Emilie erzählt: Nach einem kleinen Fest für Oskar, der vierunddreißig wurde, zog ich 1941 zu ihm nach Krakau. Da ich mir Sprachen ziemlich schnell aneigne, konnte ich nach kurzer Zeit genug polnisch, um mich einigermaßen verständlich zu machen. Ein bißchen hatte ich auch als Kind schon bei meinem Vater aufgeschnappt, der es perfekt beherrschte. Nicht so Oskar, der oft auf meine Hilfe angewiesen war, wenn er sich mit Einheimischen unterhalten wollte.

Emilie Schindler begann, ihren Mann bei der Versorgung von jüdischen Zwangsarbeitern in der Fabrik zu unterstützen.

Hauptplatz in der Altstadt von Krakau

Oskar Schindler hatte in den Jahren 1939 bis 1944 eine Emaille- und Munitionsfabrik bei Krakau, in der er für die Wehrmacht Küchengeschirr aus Blech, und später auch Granatenhülsen anfertigen ließ.

18 Monate lang musste sich Emilie in Berlin an der Wirbelsäule behandeln lassen, auch eine nachfolgende Kur in Österreich musste sie noch über sich ergehen lassen, bis es ihr wieder möglich war nach Krakau zurückzukehren.

Emilie erzählt: Endlich war der Moment der Rückkehr nach Krakau da. Oskar erwartete mich am Bahnhof mit genau dem riesigen Blumenstrauß, den ich mir im Krankenhaus von ihm gewünscht hätte. Ich nahm ihn wortlos entgegen, aber mein Gesicht zeigte deutlich, wie enttäuscht ich über ihn war. Er kannte mich gut genug und versuchte es mit einer Entschuldigung, fing an, Ausreden zu erfinden, um zu rechtfertigen, weshalb er nicht nach Berlin gekommen war. Und ich verzieh ihm wie üblich. Zu Hause tauschten wir uns dann – er bei einem Kognak und ich bei einem Tee – über die Ereignisse während meiner langen Abwesenheit aus. Er erzählte, daß er in Polen sehr viele Freunde gewonnen habe, daß spezielle Gesetze herrschten, daß es unter anderem verboten sei, den Schnellzug zu nehmen. Nach meinem Gesundheitszustand erkundigte er sich in keinem Moment. Ich bekam das erste Mal Angst, ich spürte, daß er mich nicht mehr so liebte wie früher.

Marktplatz im jüdische Viertel Kazimierz heute.

Emilie erzählt: Krakau hat jedoch bessere Zeiten erlebt, als es das jüdische Viertel Kazimierz noch gab, ein blühendes Wirtschafts- und Kulturzentrum. Die wundervolle gotische Kathedrale ist mehr als siebenhundert Jahre alt. Und das Marmorgrab von König Kasimir dem Großen, ein Werk des deutschen Bildhauers Veit Stoß, ist darin nur einer ihrer Anziehungspunkte. Oskar war von der Lebendigkeit und Schönheit dieser Stadt so verzaubert, daß er sie nicht verlassen wollte und ihr damit treuer war als vielen seiner Frauen, und natürlich auch mir. Wir hatten dort eine Wohnung, die mein Mann von sehr reichen Juden erworben hatte. Der Luxus war an kostbaren Porzellanvasen, persischen Teppichen, Gobelins und schweren Samtvorhängen abzulesen. Vor den Fenstern lag der Planty, ein Grüngürtel entlang der alten Stadtmauern, in der Nähe des Schlosses auf dem Wawelberg. In diese Wohnung pflegte Oskar seine Geliebten zu bringen, bevor ich nach Krakau übersiedelte, vor allem zwei von ihnen: die eine taucht in Keneallys Buch unter dem Namen »Ingrid« auf, hieß in Wirklichkeit allerdings Amelia, und die Polin Victoria Klonowska. Amelia arbeitete bei der Abwehr wie Oskar, während Victoria über ihre Beziehungen zu den Behörden Oskars Verhältnis zur Gestapo verbesserte.

Lageplan der Schindlerfabrik in Krakau

Sein dortiger Rüstungsbetrieb war 1944 dem KZ-Plaszow (Plaschau) als sogenanntes KZ-Außenkommando untergeordnet worden. Aufgrund des Vormarsches der Roten Armee begann im Herbst 1944 die Räumung und Schließung des KZ Plaszow und seiner Außenkommandos. Die SS deportierte den Großteil dieser jüdischen Zwangsarbeiter, über 20.000, in Vernichtungslager.

Eingang in die Fabrik Schindlers

Schindler stand vor der Entscheidung, mit seinem Millionengewinn aus Rüstungsgeschäften das Land zu verlassen und seine jüdischen Arbeiter dem sicheren Tod zu überlassen, oder unter höchstem Aufwand zu versuchen, ihr Leben zu retten.

Emilie erzählt: Die Lage hatte sich so verschlechtert, daß Oskar sich gezwungen sah, immer teurere Geschenke zu machen und große Summen aufzuwenden, um seine jüdischen Arbeiter behalten zu können. Die »Gefälligkeiten« bestanden aus Diamanten, Kaviar, Zigaretten, Kognak und anderen Schätzen, die es nur auf dem Schwarzmarkt gab und ein Vermögen kosteten. Eines Abends kam Oskar sehr niedergeschlagen in unsere Krakauer Wohnung. Er begrüßte mich kaum und ging noch im Mantel an das Büfett, in dem die Flasche Kognak stand, mit der ihn inzwischen eine unzertrennliche Freundschaft verband.

Durch sein hohes Ansehen bei der SS, durch Verhandlungen, Bestechungsgelder, Geschenke, durch List und Täuschungsmanöver war ihm und seiner Frau Emilie Schindler gelungen, unter anderem beim Oberkommando der Wehrmacht die Erlaubnis für den Aufbau einer neuen Rüstungsfabrik zu erhalten. Die SS bewilligte ihm 800 Männer und 300 Frauen als Zwangsarbeiter für seine neue Fabrik. Schindler begann daraufhin mit seinen engsten jüdischen Vertrauten die lebensrettende Liste zu erstellen.

Aufgrund der vorrückenden Ostfront stand 1944 die Räumung des Rüstungsbetriebes und des KZ Plaszow (Plaschau) bevor, und damit die drohende Deportation der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Das Ehepaar Schindler konnte erreichen, dass sein Rüstungsbetrieb verlegt werden durfte. Sowohl Maschinen als auch Arbeiter wurden ins neu errichtete KZ-Außenlager Brünnlitz im Bezirk Zwittau verfrachtet.

Emilie erzählt: »Schau, Emilie«, antwortete er niedergeschlagen, »die Lage wird immer unhaltbarer. Göth hat beschlossen, das Lager Plaschow zu schließen und alle Gefangenen, also auch unsere Arbeiter, nach Auschwitz zu schicken. Ich hatte mehrere Unterredungen mit ihm und habe alles versucht, um ihn umzustimmen. Wir müssen unsere Leute unbedingt wegbringen, damit wir anderswo weiterarbeiten können. In Brünnlitz ist mir ein Rüstungsbetrieb angeboten worden, das wäre ideal, glaube ich. Doch ich weiß wirklich nicht mehr, was ich machen soll, damit er unseren Umzug genehmigt.

Das Ehepaar Schindler kaufte in Brünnlitz im Bezirk Zwittau, der Heimat Schindlers, die ehemalige Textilfabrik Löw-Beer als Basis für die neue Produktionsstätte. Sein neuer Rüstungsbetrieb lag nun nicht mehr im Generalgouvernement, sondern im Großdeutschen Reich, wo Preise und Anschaffungskosten höher waren.

Schindler stand mit seinem Brünnlitzer Rüstungsbetrieb unter Kontrolle des KZ Groß-Rosen bei Breslau, jedoch lag Brünnlitz räumlich weit entfernt vom KZ Groß-Rosen. Auch andere KZ, beispielsweise das KZ-Flossenbürg, KZ-Theresienstadt oder KZ -Mauthausen, lagen in weiter Distanz. Dies stellte einen gewissen Sicherheitsaspekt für Schindler dar, da er beispielsweise unangekündigte, spontane Kontrollbesuche durch Mitarbeiter der Inspektion der Konzentrationslager weniger zu befürchten hatte.

Emilie erzählt: Die Liste mußte erst noch genehmigt werden, doch wir benötigten auch die Zustimmung des Bürgermeisters von Brünnlitz, wenn wir uns dort niederlassen wollten. Eine schwierige Angelegenheit insofern, als der Bürgermeister die Meinung der Einwohner des Ortes vertrat, die auf keinen Fall Juden in ihrer Nähe wünschten. Da es sich außerdem um einen Rüstungsbetrieb handelte, konnte die Stadt zur Zielscheibe alliierter Bombenangriffe werden und die Zivilbevölkerung in ernste Gefahr geraten. Doch es hieß nun einmal Brünnlitz oder nichts, es gab keine Alternative. Ohne die Genehmigung hätte man Oskar an die Front geschickt und die Juden einen nach dem anderen ermordet. Die Räumung des Lagers Plaschow war beschlossene Sache. Ich redete mit Oskar und schlug ihm vor, die Sache mir zu überlassen. Fest entschlossen begab ich mich zum Bürgermeister. Welche Überraschung, als das Gesicht, das mich erwartete, mir immer vertrauter vorkam. Allmählich dämmerte mir, daß es sich um meinen alten Schwimmlehrer handelte. Über die alten Zeiten reden zu können, Erinnerungen aufzuwärmen, von seiner und meiner Familie zu sprechen, begünstigte mein Gesuch. Ich verlangte die mit Brief und Siegel beglaubigte Genehmigung, den Rüstungsbetrieb in Brünnlitz einzurichten. Ich verließ das Rathaus mit der Genehmigung in der Hand.

Die Textilfabrik in Brünnlitz

Die Übersiedlung der 1200 Zwangsarbeiter begann im Oktober 1944, als sich das KZ Plaszow im Räumungsprozess befand.

Die verwaltungstechnische Aufsicht über Schindlers Außenlager hatte der KZ-Kommandant Johannes Hassebroek aus Groß-Rosen. Vor Ort war eine Gruppe von KZ-Wachen, die das Lager kontrollierte, unter Leitung von SS-Obersturmführer Josef Leipold.

In den letzten Kriegsmonaten herrschte große Lebensmittelknappheit. In ihrer Biographie berichtete sie vom „Spendensammeln“ bei umliegenden Getreidemühlen.

Die Lebensmittelknappheit im Lager wurde verstärkt durch die näher rückende Front und den beginnenden Winter. Auch Medikamente waren schwer zu beschaffen.

Fabrikshalle in Brünnlitz heute

Im Januar 1945 trafen Viehwagen mit etwa 80 KZ-Häftlingen ein. Der Transport war im KZ-Außenlager Golleschau gestartet, das geräumt wurde. Emilie und Oskar Schindler überlisteten die SS mit der Behauptung die Häftlinge als neue Arbeitskräfte angefordert zu haben. Die Häftlinge waren in schlechtem gesundheitlichem Zustand und benötigten medizinische Hilfe, dreizehn waren aufgrund der bitteren Kälte bereits erfroren. Schindler verhandelte mit dem SS-Lagerkommandanten, um die Leichen der Erfrorenen nach jüdischem Ritus begraben zu können, statt sie zu verbrennen. Für die Grabstätten kaufte er ein Stück Land.

Emilie erzählt: In einer sehr stürmischen Nacht bei mehr als dreißig Grad unter Null, in der die Blitze unser Zimmer hell erleuchteten, hörte ich kräftige, laute Schläge an der Tür. Noch ganz schlaftrunken zog ich mir etwas über und rannte die Treppe hinunter. Oskar war von einer seiner Reisen nach Krakau noch nicht wieder zurück, und ich war allein im Haus. Ich fragte, wer da sei, und die Stimme eines Mannes antwortete: »Frau Schindler, bitte öffnen Sie, ich muß unbedingt mit Ihnen reden.« Es war jemand, der beauftragt war, jüdische Arbeiter aus dem polnischen Goleschau abzutransportieren, einem Steinbruch, wo unter unmenschlichen Bedingungen gearbeitet wurde. Er bat mich, die zweihundertfünzig Juden zu übernehmen, die er in vier Waggons zusammengepfercht mitgebracht hatte. Sie waren von einer Firma angefordert, aber angesichts der Nachricht vom unmittelbar bevorstehenden Einmarsch der russischen Truppen zurückgewiesen worden. Wenn ich ebenso handelte, würden sie erschossen. Ich durfte nicht zögern, wenn ich etwas für sie tun wollte. Ich rannte ans Telephon, um mit Oskar zu reden, erklärte ihm die Sachlage und bat ihn um die Erlaubnis, die Juden in unsere Fabrik aufzunehmen. Er war einverstanden. Ich legte auf, zog mich an und ging Ingenieur Schöneborn holen. Ich weckte ihn und sagte ihm, er solle mich an die riesige Plattform begleiten, die als Bahnhof fungierte.Es fiel dichter Schnee, und der Morgen begann bereits zu dämmern. Mit langen schweren Eisenstangen versuchten wir, die Riegel an den Waggons zu öffnen, die völlig vereist waren. Da sich auf diese Weise nichts rührte, holte Schöneborn ein Schweißgerät, und nun gelang es endlich, mit viel Geduld, die Wagen zu öffnen.Der deutsche Lagerkommandant, der von zwei Hunden flankiert jede einzelne unserer Bewegungen verfolgte, rief mich beiseite und sagte: „Gehen Sie nicht hin, Frau Schindler, das ist ein schrecklicher Anblick. Das vergessen Sie nie wieder.“Ich beachtete ihn nicht und näherte mich trotz seiner Warnung den Waggons. Was ich zu sehen bekam, war ein Ausschnitt aus dem schlimmsten aller Albträume. Zwischen Männern und Frauen war kein Unterschied: so dünn waren alle. Die reinsten Skelette, zumeist nicht mehr als dreißig Kilo schwer. Ihre Augen starrten wie glühende Kohle aus der Dunkelheit.

Im Januar 1945 nahm sie in Abwesenheit ihres Mannes ca. 100 Juden in die Fabrik auf, die in Winterskälte drei Wochen ohne Lebensmittel in einem Güterwaggon gefangen auf ihren Abtransport in ein KZ gewartet hatten. Sie pflegte selbst die Kranken und Verwundeten in einem in der Fabrik aufgebauten Lazarett.

Das Fabriksgebäude in Brünnlitz mit Bahnhof

Bereits Ende Januar 1945 war die SS gezwungen das KZ Groß-Rosen zu räumen. Einige Tage später nahm die Rote Armee es ein. Schindler hatte zu befürchten, dass für sein Außenlager die Ermordung der KZ-Häftlinge oder ein Räumungsbefehl bevorstand, der beschwerliche Märsche zu Sammel- und Durchgangslagern bedeutet hätte. Jedoch wurde das Heranrücken der Ostfront zunächst verzögert durch die Wehrmacht, und Anfang Mai 1945 auch durch den Prager Aufstand.

Statt Patronen und andere Rüstungsgegenstände, wurden in der Fabrik die aus der Textifabrik zurückgelassenen Wollreste zu Kleidung für die Juden verarbeitet.

Während es in anderen Außenlagern zu Todesmärschen und Hinrichtungen gekommen war, verlief das Ende des Lagers Brünnlitz ohne Tote. Als im Radio das Kriegsende bekanntgegeben wurde, forderte Schindler die SS erfolgreich auf, das Lager gewaltlos zu verlassen. Am 8. Mai 1945 verließ er das Lager und floh vor der Roten Armee. Seine Arbeiter hatten ihm ein Schreiben ausgestellt, das ihm als Schutzbrief belegen sollte, wie viel er für die Juden getan hatte. Ebenso erhielt er einen goldenen Ring als Geste des Dankes.

Das Schreiben war auf der Flucht allerdings ziemlich nutzlos, da Oskar Schindler sowohl von den Russen, als auch von Tschechen wegen seiner Tätigkeit für die Abwehr gesucht wurde. Die tagelange Flucht wurde noch erschwert, da die Schindlers ja auch als Sudetendeutsche von den Tschechen gesucht und verfolgt wurden. Zu Beginn konnten sie noch mit ihrem 2-sitzigen Privatwagen flüchten, einem Horch, der eigentlich für den Schah von Persien angefertigt worden war, aber wegen des Krieges nicht ausgeliefert werden konnte und den sich Oskar, der teure und schnelle Wagen liebte, gekauft hatte. Der Wagen wurde aber sehr bald bei einer Kontrolle von den Russen beschlagnahmt.

So sah der Horch aus, mit dem die Schindlers die Flucht aus Brünnlitz antraten. Bild: Prof. Peter Kirchberg

Emilie hatte in einer schwarzen Tasche sämtliche Dokumente und Papiere bei sich, Heiratsurkunde, Geburtsurkunden, das Familienstammbuch, das die Geschichte der Familie Pelzel enthielt, Fotos von ihrer Heimatstadt, aus ihrer Kindheit, von ihren Eltern, Bilder, die von ihrer Vergangenheit erzählten. Bei einer Kontrolle durch tschechische Soldaten sollten alle Flüchtenden ihre Taschen herzeigen. Eine Frau vor den Schindlers hatte in ihrer Tasche eine Luger versteckt, sie wurde sofort zur Seite geführt und von den Soldaten erschossen. Emilie benützte den schrecklichen Augenblick und warf die schwarze Tasche mit ihrer Vergangenheit in einen nahen Kanal. Hätten die Tschechen die Tasche geöffnet, wären beide ebenfalls sofort hingerichtet worden. So gelang es den Schindlers, vorübergehend beim Roten Kreuz unterzukommen. Weiter ging die Flucht von Emilie und ihrem Mann Oskar nach Regensburg. In den folgenden Jahren lebte das Ehepaar von der Unterstützung der jüdischen Organisation Joint, bis es 1949 nach Argentinien auswanderte. Dort lebten sich Emilie Schindler und ihr Mann mehr und mehr auseinander, bis Oskar schließlich 1957 nach Deutschland zurückkehrte und sie in Buenos Aires zurückließ.

In den folgenden Jahren lebte Emilie Schindler, unterstützt von jüdischen Organisationen, in bescheidenen Verhältnissen in Argentinien. Eine erste Idee zur Verfilmung von Schindlers Liste in den 1960er Jahren konnte nicht verwirklicht werden; 1962 verkaufte sie ihr Haus und zog in eine Mietwohnung um. Im gleichen Jahr am 24. Juni wurde ihr Mann Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet (1994 auch sie selbst). 1974 starb ihr Ehemann in Deutschland.

Emilie Schindler tauchte erstmals in der Öffentlichkeit auf, als 1993 Steven Spielberg den Film Schindlers Liste drehte. In der Schlussszene legt sie einen der Steine auf das Grab ihres Mannes.

Es gibt widersprüchliche Angaben über ihre Einnahmen aus dem Film, zum Teil auch aufgrund ihres nachlassenden Erinnerungsvermögens. Nach einem Vergleich erhielt sie von ihrem US-amerikanischen Vermögensverwalter die Summe von 13.000 Dollar ausbezahlt. Sie traf sich unter anderem mit Bill Clinton, Papst Johannes Paul II. und Roman Herzog.

Emilie mit Johannes Paul II im Vatikan, 1995

Emilie mit Bill Clinton, dem Präsidenten der USA, bei der Weltpremiere von „Schindlers Liste“ 1994 in New York

Emilie Schindler nimmt 1994 die Auszeichnung als Gerechte unter den Völkern in Yad Vashem in Empfang.

Im Herbst 1999 wurde in Hildesheim auf einem Dachboden ein Koffer mit 7000 Schriftstücken und Fotos aus dem Nachlass Oskar Schindlers gefunden. Die Stuttgarter Zeitung wertete den Fund aus; Emilie erhielt zwar Kopien, forderte jedoch die Originale als rechtmäßige Erbin für sich. Mitte 2001 erhielt sie nach einem Vergleich 25.000 DM von der Zeitung, nicht aber den Koffer, der sich im Museum von Yad Vashem befindet. Am 9. Juli 2001 eröffnete sie zusammen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bonner Haus der Geschichte eine Ausstellung, die sich um ihre Rolle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus drehte.

In ihre Wahlheimat in Südamerika nicht mehr zurückgekehrt, starb Emilie Schindler am 5. Oktober 2001 nach einem Schlaganfall in einer Klinik in Strausberg bei Berlin. Am 19. Oktober wurde sie in Waldkraiburg beerdigt, der Münchner Verleger Herbert Fleissner hatte sich um das Grab in Waldkraiburg bemüht.

Das Grab der Emilie Pelzel-Schindler in Waldkraiburg

  • 1994 Auszeichnung als Gerechte unter den Völkern in Yad Vashem gleichzeitig mit Miep Gies
  • 1994 Justice-Louis-D.-Brandeis-Preis durch die zionistische Organisation von Amerika
  • 1995 Audienz bei Papst Johannes Paul II.
  • 1995 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes durch den damaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog
  • 1995 Verleihung eines israelischen Ordens
  • 1995 Verleihung eines französischen Ordens
  • 1995 Maiorden des argentinischen Heeres
  • 1995 Verleihung der argentinischen Ehrenbürgerschaft
  • 1998 Die Medaille „Le Grand Orient“ (verliehen in Argentinien)
  • 1998 Verdienstorden des argentinischen Präsidenten
  • 1999 Goldene Argentinische Medaille mit Urkunde
  • 2001 postum Menschenrechtspreis der Sudetendeutschen

Alle Auszeichnungen, Medaillen und Orden befinden sich im Haus der Geschichte in Bonn.

Die Kommentare Emilie Schindlers sind dem Buch „Schindler, Emilie; Rosenberg, Erika. In Schindlers Schatten (German Edition). Kiwi Bibliothek.“ entnommen.

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